Eine Eisenbahnfahrt
 nach Lauenburg in Pommern


Lauenburg


Kindheitserinnerungen von Manfred Lawrenz, ehem. Leba:

 

Eine Eisenbahnfahrt nach Lauenburg um 1940

Lauenburg um 1940, das war für mich eine große, imposante Stadt. Nur Berlin könnte größer gewesen sein, so dachte ich damals.
Lauenburg hatte im Gegensatz zu Leba einen Marktplatz und dazu noch die vielen interessanten Geschäfte. Und die Lauenburger waren auch kluge und fromme Leute, denn von dort erhielten wir die "Lauenburger Zeitung" und das Bier von der "Klosterbrauerei". Das alles hatten wir in Leba nicht. Zum Großeinkauf mußten wir also dorthin fahren. Zweimal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, standen diese, für mich großen Ereignisse ins Haus. Nach Lauenburg führte eine 30 km lange Eisenbahnstrecke. Die Aussicht mit dem Zug fahren zu dürfen, sorgte schon einen Tag vorher für Aufregung. Abends wurde dann der Wecker, den man immer für eine Eisenbahnfahrt braucht, gestellt. Morgens, während des Frühstückes, machte meine Mutter noch die Schnitten, Stullen wie man in Pommern sagte, für unterwegs fertig. Dann ging es endlich zum Bahnhof.


Bahnhof Leba

Meist war es noch schummrig und kalt. Der Zug stand oft schon bereit, Leba war ja die Endstation. Vor dem Einsteigen mußten die Fahrkarten gekauft werden. Meine Mutter verlangte stets "Lauenburg, retour, zweiter Klasse". Das mit der zweiten Klasse war mir klar, aber mit retour konnte ich nichts anfangen. Da aber alle das verlangten, wird es wohl in Ordnung gewesen sein. Wir versuchten immer einen Fensterplatz zu bekommen, für meine Mutter einen in Fahrtrichtung. Rückwärtsfahren hat sie schlecht vertragen. Endlich setzte sich dann der Zug in Bewegung, nachdem der Mann mit der roten Mütze mit einer Art "Fliegenklatsche" das Abfahrtsignal gegeben hatte.
Es kam auch vor, daß der Zug auf freier Strecke halten mußte. Da ein Zug aber immer am Bahnhof hält, habe ich diesen stets vom Fenster aus gesucht. Sobald ich ein Gebäude, meist war es ein Schuppen, entdeckte, habe ich gefragt, ob das ein kleiner Bahnhof sei. Meine Mutter bejahte das meistens, vermutlich um längerer Diskussion aus dem Wege zu gehen. Bis einmal ein Mitreisender aus Leba sagte, das sei kein Bahnhof, sondern ein Sch...haus. Und zu meiner Mutter gewandt, meinte er, sie sollte mir das doch richtig beantworten. Na ja, einer wird schon recht gehabt haben. Jedenfalls war zunächst einmal Ruhe im Abteil. Nach einer Weile habe ich dann aber entschieden, daß das doch ein kleiner Bahnhof ist.
Aber dann kam eine richtig interessante Bahnstation; Garzigar. Hier gab es einen Kleinbahnzug, der von den Dörfern, vermutlich aus Richtung Chottschow, so genau weiß ich es nicht mehr, kam. Er stand meistens auf dem Nachbargleis und hatte eine schöne Lokomotive. Nur die Personenwagen sahen aus wie große Kisten mit Fenstern. Sicher hatten die auch nicht so schöne geschwungene Sitzbänke aus Holzleisten wie in unserem Zug, sondern nur Bretterbänke, wie die im Abteil für "Reisende mit Traglasten". Jedenfalls mußten wir hier immer lange warten, weil die Personenwagen an unseren Zug angehängt wurden. Dann aber ging es endlich nach Lauenburg weiter. Aber bis zum Bahnhof Lauenburg sind wir, bis auf ein einziges Mal, nie gekommen. Dieses einzige Mal war im Juli 1947. Da wurden meine Mutter und ich und viele andere Lebaer in Viehwaggons nach Lauenburg transportiert. Aber das ist eine andere, traurige Geschichte.
Zu meinem Ärger sind wir und fast auch alle anderen Mitreisenden immer schon eine Station vor Lauenburg, am Haltepunkt "Neue Welt", ausgestiegen. Warum das hier eine neue Welt sein sollte, konnte ich mir nicht erklären, denn so schön war es hier auch wieder nicht. Jedenfalls marschierten wir von hier zu Fuß nach Lauenburg bis zum Markt.


Lauenburg in Pommern

 

 

Markt mit Jacobi-Kirche und dem "Großen Kurfürsten"

 

Bahnhof Lauenburg i. Pom.  1923

     Bildquelle: Historische Postkarten
 

Mir erschien es sehr weit. Machten die Erwachsenen einen Schritt, so waren es bei mir zwei. Und ich mußte viele Schritte machen. In Lauenburg gab es immer zwei Höhepunkte, die es schon alleine wert waren, dort hinzufahren. Der erste war der Fahrstuhl im Kaufhaus Zeeck. Ich war begeistert, wenn wir den benutzten. Ein Fahrstuhlführer öffnete in jeder Etage die Tür und sagte was man dort kaufen konnte. Er hatte es gut, denn er durfte den ganzen Tag Fahrstuhl fahren.
Das Einkaufen selbst war für mich nicht so interessant, ich schaute lieber die Schaufenster an. Dabei entdeckte ich in einer Eisenwarenhandlung einen bekannten Verkäufer. Er hatte so einen eigenartigen Namen wie Klutentreter oder so ähnlich. Vorher war er Vertreter für Möbelbeschläge und hat uns manchmal in der Tischlerei meines Großvaters in Leba besucht. Jetzt hatte er nichts mehr zu vertreten, denn es war Krieg. Die Tischlerei war geschlossen, mein Vater, mein Onkel und die Gesellen mußten zur Wehrmacht. Er wollte mir einen kleinen Hammer schenken, da ich so einen aber schon besaß, bekam ich eine schöne Kneifzange. Voller Stolz verließ ich mit meiner Mutter den Laden.
Nachdem die Mittagszeit überschritten war, ging es endlich zum "Hauptbahnhof" Lauenburg. Vorher kehrten wir stets bei Toetzke ein. Das war ein Geschäft mit einer Gaststätte, in der man die von zu Hause mitgebrachten Stullen essen konnte. Hier war dann der zweite Höhepunkt. Nach dem Auspacken der Schnitten bekam ich immer ein wunderschönes Glas dunkles Bier!
Der Bahnhof in Lauenburg war modern. Gab es in Leba nur einen Bahnsteig, so waren es hier mehrere, die ein Tunnel verband. Den brauchten wir aber nicht benutzen, weil der Lebaer Bahnsteig direkt am Bahnhofsgebäude war. Und jeder durfte hier auch nicht so ohne weiteres auf den Bahnsteig gehen. Wir mußten immer warten bis der Fahrkartenknipser kam, die Absperrkette öffnete und die Fahrkarten lochte. Erst danach konnten wir den Bahnsteig betreten und in den Zug einsteigen. Das war auch im Regen ohne naß zu werden möglich, denn der Bahnsteig hatte ein Dach. Eine Stunde, viel zu schnell, holperte dann der Zug über die Schienenstöße zurück nach Leba. Am späten Nachmittag waren wir, meine Mutter und ich, wieder zu Hause und die erlebnisreiche Fahrt war leider schon zu Ende. Schade.
Jetzt bin ich Rentner und denke manchmal etwas wehmütig zurück; eine schönere Eisenbahnfahrt und ein besseres Bier wird es nie wieder geben.
Apropos Kneifzange: Die habe ich noch. Und wer sie sehen möchte, kann gerne mal vorbei kommen.

Bahnhof Lauenburg i. Pom.
1901
Foto: Ansichtskarte unbek.

 

 

75 Jahre später:

                           

Eine Eisenbahnfahrt nach Lauenburg 2017

am 14. Juni

Nun bin ich über 80 Jahre alt und weiß jetzt, daß es doch noch größere Städte als Lauenburg und Berlin gibt. Die Welt hat sich verändert. Leba, Lauenburg (jetzt Lębork) und alles drum herum gehören jetzt zu Polen. Auch wird die Bahnstrecke von Leba nach Lauenburg nur noch in der Saison, 2 Monate im Jahr, befahren. In der Zwischenzeit rosten dann die Schienen still und leise vor sich hin.
Um so überraschter war ich, daß vom "Bund der Lebaer" ein Sonderzug (!) extra für uns, das sind die Teilnehmer der diesjährigen  Lebareise des Bundes der Lebaer, organisiert worden ist.

Nach etwa 75 Jahren hatte ich nun das Glück die "Eisenbahnfahrt nach Lauenburg" noch einmal erleben zu können. Die Erwartungen waren groß, was gibt es nach so langer Zeit noch?
Es gibt noch immer die 30 km lange Eisenbahnstrecke zwischen Leba und Lauenburg mit den 8 Bahnstationen.
Bekannt ist aber auch, daß nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee, zum Kriegsende 1945, der Markt in Lauenburg niedergebrannt wurde. Also gibt es das Kaufhaus Zeeck mit dem unvergessenen Fahrstuhl nicht mehr. Auch die Eisenwarenhandlung am Markt mit dem freundlichen Herrn Klutentreter, der mir damals eine kleine Kneifzange schenkte, kann es nicht mehr geben. Wer mag sich noch an den diesen Herrn Klutentreter erinnern?

Gegen 9 Uhr trafen wir mit unseren zwei Reisebussen am Lebaer Bahnhof ein. Nach kurzer Wartezeit kam dann der Sonderzug, um uns abzuholen. Eine richtige Lokomotive hatte er aber nicht, es war ein moderner  Triebwagen. Wenig später setzte sich dann der Zug in Bewegung, ohne daß, wie früher ein Mann mit roter Mütze und Signalkelle das Abfahrsignal geben mußte. Er muß wohl, wie überall, eingespart worden sein. Fahrkarten brauchten wir nicht zu kaufen, aber ich habe jetzt gewußt, was es damals mit der Retourkarte auf sich hatte.


Bahnhof in Leba

An der rechten Seite der Bahnhofsausfahrt steht noch der von der Deutschen Reichsbahn errichtete Wasserturm. Er ist in einem vorbildlichen Zustand und könnte sogar bewohnbar sein. Vielleicht wohnt ja dort oben der oberste Bahnchef? Weg sind Lokomotivschuppen und Drehscheibe, sie werden nicht mehr benötigt.
Jedenfalls fuhr der Zug in einem gemäßigten Tempo, wie damals, von Bahnhof zu Bahnhof. Die Bezeichnung Haltepunkt wäre heute richtiger. An jedem Haltepunkt standen ca. 15 Minuten zur Besichtigung und zum Fotografieren, Fotoshooting wie es heute so schön heißt, zur Verfügung. Diese Gelegenheit wurde von allen Reiseteilnehmern ausgiebig genutzt. Aus der regulären Fahrzeit von 43 Minuten wurden somit zwei sehr interessante Stunden, in denen es zum Austausch vieler Erinnerungen kam. Alle Stationen sind im Gegensatz zu früher, mit erhöhten Bahnsteigen ausgestattet. Allerdings erfordern jetzt einige ein etwas akrobatisches Können. Dringend benötigen die Bahnhofsgebäude eine Verjüngungskur. Sie werden aber genaugenommen kaum mehr benötigt.


Die Bahnstationen der Strecke Leba-Lauenburg

   
Leba / Łeba   Fichthof / Steknica
( kein Empfangsgebäude)
  Freest / Wrzeście
   
Landechow / Lędziechowo   Garzigar / Garczegorze   Neuendorf  (kein Empfangsgbd)
/ Nowa Wie
ś Lęborska
     
Neue Welt /
L
ębork Nowy Świat
  Lauenburg / Lębork    

 

Voller Spannung erwartete ich den Haltepunkt Garzigar. Hier gab es früher einen Kleinbahnzug mit der schönen Dampflokomotive aus Chottschow.


Ehemalige Kleinbahnstrecke
nach Cottschow

Diese Bahnstrecke gibt es nicht mehr. Schade. Einige Gleisreste mit der alten Signalanlage sind auf dem Bahngelände noch sichtbar. Vielleicht wurde hier der Verkehr deshalb eingestellt, weil niemand mehr seine Hühner, Gänse, Enten usw. mit dem Zug zum Markt nach Lauenburg gebracht hat? Schweine waren sicherlich nicht dabei :-). Sei es wie es sei.
Der Haltepunkt Neue Welt war mir eine verhaßte Station, weil ich von hier immer mit vielen kleinen Schritten zum Lauenburger Markt  gehen mußte. Dieses Mal ging es aber mit dem Zug weiter bis zum "Hauptbahnhof" Lauenburg. Hier gibt es immer noch die Bahnsteigüberdachung und den Fußgängertunnel wie damals, aber der "Fahrkartenknipser" ist nicht mehr da.
Endlich hatten wir den Marktplatz zu Fuß erreicht. Alles mußte hier nach dem 1945 verheerenden Brand neu

Marktplatz mit Jakobikirche in Lauenburg

errichtet werden. Moderne Bauten umsäumen jetzt weiträumig den neu gestalteten Platz. Ich vermißte aber die vertraute Enge mit den schönen alten Häusern und vielleicht auch das dominierende Denkmal vom Großen Kurfürsten. Aber das ist nicht mehr zeitgemäß.
Schade, daß das Kaufhaus Zeeck mit dem nostalgischen Fahrstuhl nicht mehr da ist. Gerne hätte ich auch noch das Geschäft von Toetzke mit der rustikalen Imbißstube gesehen. Damals, in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts, bekam ich hier immer ein herrliches Glas dunkles Bier. Ein besseres gab es nirgends. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wo das war.
Und wo sind jetzt die klugen und frommen Leute, die uns die "Lauenburger Zeitung" und das Bier aus der Klosterbrauerei nach Leba schickten? Vom Winde verweht!  - "Sag mir wo die Leute sind, wo sind sie geblieben?" -
Es sind neue gekommen!

Da wir die Reise anschließend mit unseren Bussen fortsetzten, entfiel die Rückfahrt mit dem Zug nach Leba, obwohl es die damaligen holprigen Schienenstöße nicht mehr gibt.

Ein sehr schönes Reiseerlebnis. Allen Beteiligten, die das ermöglichten, meinen herzlichen Dank.


Bahnhof Lauenburg i. Pom.; jetzt Lębork
2017

Fotos: M. Lawrenz, 2017


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Letzte Aktualisierung: September 2017