Leba
die Notstromversorgung 1945

 


Dieses ist ein Erinnerungsbericht über ein Ereignis, das meine spätere Berufswahl und damit meinen Lebensweg mit geprägt hat. Damals, 1945, war ich 10 Jahre alt und an technischen Dingen äußerst interessiert. Wir Jungen aus der Nachbarschaft des Verstärkeramtes in Leba waren dabei und durften als "Handlanger" mitmachen. Deshalb meine ich, mich an die damaligen Aktivitäten zum

Aufbau und Betrieb einer Notstromversorgung in Leba

noch gut erinnern zu können.

Stromabschaltungen während des 2. Weltkrieges waren in Leba nicht selten. Da industriell unbedeutend, mußte eben Hinterpommern fürs "Reich" sparen. Gegen Ende des Krieges häuften sich die Abschaltungen, bis eines Tages endgültig Schluß war. Kraftstrombedarf hatten vor allem, neben zwei Fischkonservenfabriken, die Bauern, vorwiegend für Dreschmaschinen sowie die wenigen, mangels Personal, kaum noch arbeitenden Handwerksbetriebe. Entsprechend dem damaligen technischen Stand konnten aber noch viele Maschinen mit Muskelkraft betrieben werden.
Für die Beleuchtung wurden zunächst die noch vorhandenen Haushaltskerzen verwendet. Nachdem diese aber verbraucht waren, neue gab es nicht mehr, mußten alternative Lichtspender gesucht werden. Gut dran war der, der noch eine Petroleumlampe finden konnte. Noch besser hatte der es, der auch noch das erforderliche Petroleum auftreiben konnte.
Gravierend für die Lebaer war aber der mit der Stromabschaltung verbundene
Ausfall der Trinkwasserversorgung! Durch die um das Jahr 1935 gebaute städtische Wasserleitung wurden viele Brunnen nicht mehr benutzt, sie waren versiegt oder das Wasser war meist bräunlich und hygienisch problematisch. Vielleicht kann das auch eine der Ursachen für die später, nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee am 10. März 1945, in Leba aufgetretenen Typhuserkrankungen sein.

Nach dem 1. Weltkrieg erhielt Polen, gemäß dem Versailler Friedensvertrag von 1919, einen Zugang zur Ostsee, den sog. "Korridor" zwischen Pommern und Ostpreußen. Um diesen zu überbrücken ist 1920 ein über 170 km langes Fernsprechkabel von Tenkitten bei Königsberg durch die Ostsee bis nach Leba verlegt worden. Von hier führte dann ein 1922/23 verlegtes 60 km langes Kabel nach Stolp.


Letzte Kabeltrommel der Fernmeldeverbindung
 Stolp - Leba, 1923
Foto: Archiv Klaus Märtens
 
Verstärkeramt Leba, 1942
Foto: Archiv  M. Lawrenz

Für den Betrieb dieser Fernsprechverbindung wurde 1920/22 in Leba ein Fernmeldeverstärkeramt errichtet und von der Deutschen Post betrieben.
In einer Hälfte des Erdgeschosses waren das Fernmeldeamt von Leba, in der anderen vermutlich die Betriebseinrichtungen für das Seekabel untergebracht. Entsprechend der Wichtigkeit dieser Fernmeldeverbindung erhielt das Verstärkeramt, wie die unten stehende Skizze zeigt, in einem Anbau auf der Hofseite
eine Notstromanlage.
Sie bestand aus einem stationären Dieselmotor, der über einen Treibriemen einen Drehstrom-Synchrongenerator mit angeflanschter Erregermaschine antrieb. In einem separaten Betriebsraum war die Schaltanlage, eine mehrfeldrige Marmor-Schalttafel mit den erforderlichen Schalt-, Regel- und Meßgeräten, eingebaut.
Vor der Schalttafel waren mehrere rotierende Umformer (u. a. Einankerumformer) auf Fundamenten angeordnet. Da sich im Nachbarraum die Batterieanlage für den Betrieb der Fernmeldeeinrichtungen befand, war anzunehmen, dass die Umformer zum Laden der Batterien benötigt wurden.
Die Anlagen waren außer Betrieb, aber nach meinem damaligen Eindruck nicht beschädigt.
Lediglich einige Relaisfelder vom Lebaer Telefonnetz wurden später von Polen demontiert und abtransportiert.
 

Fernmeldeverstärkeramt der Reichspost um 1935
links das Hauptgebäude an der Hindenburgstraße

Nachdem 1945 die sowjetische Kommandantur und die neue Stadtverwaltung eingerichtet waren, galt es wohl in erster Linie die Kommandantur und die Russenquartiere, die Wasserversorgung und die Verwaltung mit Elektroenergie zu versorgen. Dazu schien die Notstromanlage des Verstärkeramtes geeignet zu sein. Der Betrieb der Anlage mit dem Dieselmotor schied aber aus, da weder der Dieselkraftstoff vorhanden, noch beschaffbar war. Also mußte eine andere Lösung her.
Kesseldampfmaschinen mit fahrbarem Untersatz, sog. Lokomobile, waren damals auf dem Lande, vorwiegend in Ziegeleien, Sägewerken und Brennereien verbreitet. Deshalb konnte aus dem Sägewerk Heide-Charbrow etwa Mitte Mai eine Heißdampf-Lokomobile,  Fabrikat Wolf-Buckau, (etwa 25 kW)  herangeschafft werden.


Lokomobile Fa. Wolf, Magdeburg-Buckau (1911)
31 PS (23 kW),  10 Atm (10 bar)

Foto: Freilichtmuseum am Kiekeberg, Ehestorf b. Hamburg
(mit freundlicher Genehmigung)

Kurzerhand wurde der Drehstromgenerator auf seinem Fundament um 90° gedreht, die Gebäudewand durchbrochen und die Dampfmaschine davor aufgestellt. Ein Treibriemen übernahm die Kraftübertragung zum Generator. Die nachfolgende, aus dem Gedächtnis gezeichnete Skizze zeigt den Aufbau der Anlage.

 


Grundrißskizze des Verstärkeramtes in Leba
 zur Notstromversorgung 1945

   Skizze: M. Lawrenz

 

Auf Grund der geringen Leistung der Anlage konnte die erzeugte Elektroenergie nicht in das öffentliche Leitungsnetz eingespeist werden. Jeder in frage kommende Abnehmer mußte, auch wegen der zur Verfügung stehenden schwachen Kabel, eine separate Leitung erhalten. Das führte dazu, das infolge der steigenden Abnehmerzahl mächtige Leitungsbündel längst der Hindenburgstraße von Baum zu Baum hingen. Verwendet wurden die von der Wehrmacht überall auf Kabeltrommeln zurückgelassenen, mit Kupplungssteckverbindern konfektionierten mehradrigen Kabel.
Waren es erst die Energieverbraucher der sowjetischen Einrichtungen, des Wasserwerkes und der Stadtverwaltung (das "Büro", wie wir es in Leba nannten), so kamen Ende Mai die sich etablierenden polnischen Verwaltungen wie Miliz, Post usw. hinzu. Auch die Wohnungen privilegierter polnischer Personen wurden angeschlossen. So auch mein Elternhaus, in dem ein Angestellter des Magistrats wohnte. Dazu einige Handwerksbetriebe, darunter auch die Tischlerei meines Großvaters, Johann Lawrenz. Die Folge war eine totale Überlastung der Stromerzeugungsanlage.
Die Betreiber von Elektromotoren mußten sich abstimmen, wer zu welcher Zeit eine Maschine einschalten durfte. So weiß ich, daß die Inbetriebnahme der Hobelmaschine in der Tischlerei meines Großvaters nur durch mühsames, mehrmaliges kräftiges Anschieben am Treibriemen möglich war. Die elektrische Leitung war für die zu überbrückende Entfernung viel zu schwach. Von Elektroqualität und Abschaltsicherheit im Überlast- und Kurzschlußfall konnte keine Rede sein.
Aber es funktionierte, der Zweck heiligte die Mittel.
Abends sollte die Elektroenergie nur für Beleuchtungseinrichtungen mit niedriger Leistung verwendet werden. Auch hier reichte die erzeugte Energie für eine ordentliche Versorgung nicht mehr aus. Abgeschaltet wurde aber nicht, sondern die elektrische Spannung wurde soweit abgesenkt, daß Dampfmaschine und Generator noch betrieben werden konnten. Das hatte zur Folge, daß die von den elektrischen Lampen abgegebene Lichtmenge spärlich war. Das Licht selbst war nicht gleichmäßig, es pulsierte leicht im Rhythmus der Kolbenbewegung der Dampfmaschine.

Die Dampfmaschine war ein gefräßiges Ungetüm, sie verschlang alles was brennbar war. Konnten anfangs noch Kohlevorräte aus dem Hafen genutzt werden, so mußte bald auf Holzfeuerung ausgewichen werden. Das Holz soll anfangs vorwiegend von den übrig gebliebenen Wehrmachtsanlagen aus den Dünen beschafft worden sein. Danach wurden die noch relativ gut erhaltenen Baracken von Rheinmetall-Borsig, auf der Rumbkerseite, in Nähe der alten Ruine abgerissen und verheizt. Später holten die Bauern das Holz aus Richtung Rumbke.
Sackte der Dampfdruck plötzlich ab, so half man mit getränkten Putzlappen oder auch Teerpappe etwas nach.
Nachts war Betriebsruhe. Der Vormittag wurde für Instandhaltungsarbeiten genutzt. Zum Anfahren der Anlage mußte das Schwungrad der Dampfmaschine, meist von zwei Personen, in die richtige Position gedreht werden. Nicht immer gelang der Anlauf sofort, weil das Schwungrad manchmal im Totpunkt hängen blieb. Dann half nur ein erneuter Versuch. Die Regelung der elektrischen Spannung auf 380 Volt erfolgte manuell, mittels eines Handrades im Betriebsraum der Schaltanlage.


Zunächst galt es dann das Wasserwerk für die öffentliche Trinkwasserversorgung in Betrieb zu setzen. Das Wasserwerk stand am Durchgang des Schulhofes zur Marktstraße. Es war, soweit ich mich erinnere, mit 3 stehenden Druckkesseln und mit 2 Kreiselpumpen, davon diente eine vermutlich als Reserve, ausgerüstet. Wegen der geringen zur Verfügung stehenden elektrischen Energie konnte das Wasserwerk nur zeitlich begrenzt betrieben werden. Damit war die Wasserentnahme aus der öffentlichen Wasserleitung täglich nur eine oder zwei Stunden möglich.
Da während dieser kurzen Zeit ein enormer Wasserbedarf bestand, und das Wasser auch die entfernteren Zapfstellen erreichen sollte, wurden zunächst die Schieber zu dem Wasserleitungsnetz geschlossen. Danach wurde die elektrische Zuleitung im Schaltraum des Verstärkeramtes eingeschaltet, so daß die Pumpe arbeitete. Erst nachdem alle 3 Kessel gefüllt waren und den erforderlichen Druck hatten, öffnete man die Wasserleitungsschieber. Die Pumpe konnte zwangsläufig für diesen hohen Wasserbedarf den Druck nicht aufrecht halten. Die Folge war, daß zuletzt nur noch ein spärlicher Wasserstrahl floß. Nach Ablauf der für die Wasserversorgung vorgesehen Zeit wurde die elektrische Leitung wieder getrennt. Danach durften die anderen Abnehmer ihre elektrotechnischen Einrichtungen, ebenfalls zeitlich begrenzt, betreiben.
Eine Besonderheit war die Getreidemühle von Birk mit ihrem Verbrennungsmotor als Antrieb. Zum Anfahren wurde ein Elektromotor benutzt, der die gesamte erzeugte Leistung beanspruchte. Deshalb mußten während dieser Prozedur alle anderen Verbraucher zurückstehen. Ein weiterer "Großverbraucher" war die Molkerei.
Der einzige Energieverbraucher, der tagsüber immer in Betrieb war, war die auf dem Hof des Verstärkeramtes aufgestellte Kreissäge. Auf dieser wurde das angefahrene Holz auf die für die Dampfmaschinenfeuerung benötigte Länge gesägt. Abends war die Stromerzeugung für die Beleuchtung der Ämter und dem ausgewählten Personenkreis vorgesehen. In den späten Abendstunden wurde dann der Betrieb beendet.
Die Maschine soll von 5 Uhr früh bis 1 Uhr nachts in Betrieb gewesen sein.
War die Dampfmaschine zunächst mit einem Regenschutzdach und an einer Seite als Windschutz mit einer Holzwand versehen, so wurde sie in Erwartung des Winters, vollständig umhaust. Leider weiß ich nicht mehr, wann der Betrieb eingestellt worden ist. Im Frühjahr 1946 war die öffentliche Energieversorgung, nach anfänglichen Unregelmäßigkeiten, wieder gewährleistet. Zuvor mußte die Überlandleitung (Mittelspannungsfreileitung) instand gesetzt werden, da die Russen die Leiterseile heruntergenommen hatten und daraus dann Bindedraht für Heuballen hergestellt wurde.

Dieser Bericht wurde in Jahre 2002 nach Erinnerungen von Manfred Lawrenz, geb. 1935 in Leba und einigen Hinweisen von  Manfred Hensel und Max Rademske  geschrieben.


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  1. Lawrenz, eine Familie aus Pommern
  2. Erinnerungen an Leba (I)
  3. Erinnerungen an Leba (II), mit Stadtplan
  4. Zum Gedenken unserer Vorfahren
  5. Das Wappen von Leba
  6. Notstromversorgung 1945 in Leba
  7. Reise nach Leba
  8. Eisenbahnfahrt nach Lauenburg
  9. Stilo, ein Leuchtturm an der Ostsee
10. Die Lontzke-Düne
11. Rumbke am Lebasee
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Letzte Aktualisierung: November 2014